Fachtag 2025 des Kuratoriums Deutsche Altershilfe
Ein grundlegender Reset für die Pflege in Deutschland. Das war das Thema beim Fachtag 2025 des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA) in Berlin. Unter dem Leitgedanken „R³ – RE:SET RE:BOOT RE:LAUNCH“ wurden zunächst die notwendigen Reformen für eine zukunftssichere Pflege entworfen und dann der Weg dorthin, zum Beispiel unter Einbindung gestärkter Kommunen, aufgezeigt.
„Wir wollen nicht die Apokalypse diskutieren, wir konzentrieren uns auf den Neustart“, eröffnete Dr. Alexia Zurkuhlen, Vorständin des KDA, den Austausch, der von Christian Heerdt, Bereichsleiter im KDA, moderiert wurde.
Zunächst erläuterte Prof. Dr. Thomas Klie die Kernthesen des KDA-Strategiepapiers „Reset Pflegeversicherung – Strukturreform Pflege und Teilhabe III“, das er gemeinsam mit Nadine-Michèle Szepan und Michael Ranft verfasst hat. „Das KDA war eine wichtige Hebamme bei der Pflegeversicherung“, sagte Prof. Klie. Jetzt habe sich das KDA zur Aufgabe gemacht, auch die aktuelle, nach 30 Jahren notwendige, grundlegende Reform mitzudenken. Die Schritte dorthin, die die drei KDA-Kuratoren im Reset-Papier sowie bei regelmäßigen „Pflege-Frühstücken“ erläutern, werden vom Menschen hergedacht.
Hierzu griff Prof. Klie auch auf den DAK-Pflegereport mit einer aktuellen Allensbach-Umfrage zurück, die einen eklatanten Vertrauensverlust der Bürger in das Sozialsystem Pflege zeigt sowie klare Erwartungen der Bürger an eine Pflegereform deutlich macht. Immerhin 77 Prozent der Befragten fordern eine grundlegende Reform der Pflege und der Pflegefinanzierung. 16,6 Millionen Menschen kümmerten sich um An- oder Zugehörige. Pflege sei ein „Nahthema“, zitierte Klie die Meinungsforscherin Prof. Renate Köcher.
Bundesregierung muss rechtswidrigen Zustand beenden
Beim Punkt Finanzierung betonte Prof. Klie nachdrücklich, dass es ein rechtswidriger Zustand sei, dass die 3,5 Milliarden Euro Schulden aus der Coronazeit nicht aus Steuermitteln an die Beitragszahler der Pflegekassen zurückerstattet würden. Das werde noch getoppt durch das Angebot, ein Darlehen i. H. v. 1,5 Milliarden Euro zum Stopfen der Löcher auszuzahlen. „Das beschädigt das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen“, warnte der Jurist Klie. Die Bundesregierung müsse den rechtswidrigen Zustand beenden und die Schulden, die Jens Spahn bei den Pflegekassen aufgenommen habe, begleichen. Dann sehe die finanzielle Lage auch schon etwas anders aus.
Zudem sprach sich Prof. Klie gegen das System der 90 Kassen aus: Das könne nicht funktionieren, unterstrich er. Auch hier gelte es, Bürokratieabbau voranzubringen und Effizienzgewinne zu heben.
In Diskussionsrunde 1 ging es dann darum, ein Zielbild für die Pflege der Zukunft zu schärfen und Umsetzungsmöglichkeiten zu formulieren. Dabei umrissen Prof. Klie, Gabriela Leyh, Landesgeschäftsführerin der Barmer Berlin-Brandenburg, und Wissenschaftsjournalistin Hanna Grabbe, die „Zeit“, die Schritte von der Policy, vom Paper zur Praxis:
- Zielbild – vom Menschen her gedacht: Im Sinne einer individuellen, sektorenübergreifenden, aktivierenden und gut bezahlbaren Pflege mit einer Ansprechperson, die über die gesamte Pflegezeit begleitet – ähnlich wie ein Hausarzt.
- Alter + Beeinträchtigung + Pflege in den Alltag holen, als selbstverständlich dazugehörig verstehen, als Gesellschaft gemeinsam Verantwortung sehen, Teilhabe inklusive.
- Entsprechend die Finanzierung stärker solidarisch gestalten, ausweiten – nicht vor allem auf den Schultern der aktuellen Beitragszahler lassen. Sektorenunabhängige Budgets.
- Kommunen, die in die Lage versetzt werden, Ermöglicher zu sein, etwa von sektorenübergreifenden Netzwerken (Caring Communities), von Prävention, von sorge- und altersfreundlichen Strukturen (age-friendly-cities). Kein Kontrahierungszwang, Öffnungsklausel für Kommunen. Hier sind auch die Kassen zur engen Zusammenarbeit aufgerufen.
- Weitere Facetten des Zielbildes sind u.a. Angehörige stärken, Armut im Alter entgegenwirken, hier u.a. Regeln des SGB 9 auf das SGB 11 anwenden bezüglich des Eigenbehalts.
Hiernach dann werden die einzelnen Schritte sowie die Finanzierungswege ausgerichtet.
Im Rahmen der dann ins Publikum geöffneten Diskussion wurde u. a. darauf hingewiesen, dass Politik stärker in die Haftung genommen werde müsse: Wir wissen längst, was zu tun ist. Es müssten die Voraussetzungen geschaffen werden. Zudem wurde betont, dass in vielen Kommunen fachfremde Personen Verantwortung trügen, so dass das Zielbild der Caring Communities sehr klar definiert werden müsse.
Dass die Kommunen für die Aufgaben natürlich entsprechend mit Rechten und Mitteln ausgestattet werden müssen, war bereits deutlich gemacht worden.
Teilhabe als Gestaltungsauftrag gestärkter Kommunen
Die künftige zentrale Rolle der Kommunen bei der Pflege der Zukunft beleuchtete Prof. Dr. Antonio Brettschneider, Professor für kommunale Sozialpolitik an der TH Köln und Mitautor des Neunten Altersberichts, im zweiten Input. Er zeigte auf, wie integrierte kommunale Seniorenpolitik gestaltet werden kann – und was Kommunen dazu brauchen. U.a.: am besten eine bundeseinheitliche Regelung mit dem Paragraphen 1: Jeder ältere Mensch hat das Recht…, so wie 1996 mit dem Seniorenhilfe-Gesetz schon einmal angedacht.
In der anschließenden Policy-to-Practice-Runde zog die ehemalige, langjährige pflegepolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Kordula Schulz-Asche Radevormwald und Communitiy Health Nurses (CHN) als gute Beispiele heran. Es brauche eine aktive Kommune und ein Fall- sowie Quartiersmanagement. Die Fachpflege müsse gestärkt werden – und die Profession müsse sich besser organisieren, um sich stärker einbringen zu können, Stickwort Pflegekammern.
Auch Johannes-Emmerich Weber, Aufsichtsratsmitglied im KDA und langjähriger Leiter der Altenhilfe in Wiesbaden, plädierte nachdrücklich für ein „Altenhilfe-Strukturgesetz“. Er unterstrich zudem, dass sich sektorenübergreifende Zusammenarbeit für Bürger und Kommune in mehrfacher Hinsicht lohne. Prävention und übergreifende Strukturen rechneten sich definitiv durch die Vermeidung von Kosten. Als Beispiel nannte er die Zusammenarbeit von Wiesbadener Sozialarbeit und Altenhilfe mit Rettungsdiensten. Die Zuweisung zu Hilfsangeboten je nach tatsächlichem Bedarf des „Rettungsfalls“ konnte Klinikeinweisungen deutlich reduzieren und schaffte zudem Zugänge zu Menschen, um ihnen bedarfsgerechte Unterstützung gewähren zu können.
Prof. Brettschneider goss beide Statements in ein Bild für noch zögerliche Stadtkämmerer. Prävention und sektorenübergreifende Zusammenarbeit – oder eben in Person die CHN sei quasi wie eine gute Steuerprüferin: Sie erwirtschafte viel durch Vermeidung von ungünstigen Entwicklungen.
Weiterführende Links:
„Reset Pflegeversicherung – Strukturreform Pflege und Teilhabe III“
DAK Report zur Pflege mit Allensbachumfrage
Neunter Altersbericht
Wiesbaden: Kooperation von Altenhilfe und Rettungsdiensten












