#KDAgegenArmut
In der öffentlichen Debatte gilt die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zumeist primär als eine organisatorische und beziehungsintensive Herausforderung. Im Alltag bedeutet das zahlreiche Terminabsprachen, zeitliche Überschneidungen von Arbeit und Pflegeaufgaben und den Bedarf an Zeitsouveränität. Verborgen bleiben die finanziellen Folgen, die aus der Pflegeverantwortung entstehen. Mit zunehmender Dauer der Pflegesituation kommt es immer häufiger dazu, dass Erwerbstätige mit Pflegeverantwortung ihre Arbeitszeit reduzieren. Auch bleiben sie unberücksichtigt bei beruflichen Weiterentwicklungen. Dies führt zu Einkommenseinbußen, niedrigeren Rentenansprüchen, abnehmender beruflicher Teilhabe und oft auch zu gesellschaftlicher Ausgrenzung.
Einkommenseinbußen und zusätzliche Kosten durch die Übernahme von Pflegeverantwortung
Die finanziellen Belastungen durch die Übernahme von Pflegeverantwortung lassen sich in kurzfristige, mittelfristige sowie langfristige Einbußen gliedern.
Kurzfristige Einbußen zeigen sich beispielsweise bei der Inanspruchnahme des Pflegeunterstützungsgeldes, das 90 % des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts, jedoch nicht mehr als eine gesetzliche Höchstgrenze (2025: 128,63 € pro Tag) beträgt.
Mittelfristig entstehen durch Teilzeit oder durch den Wechsel in Teilzeit, durch Verlust von Zulagen oder berufliche Aufstiege deutliche Einkommenseinbußen.
Langfristig zeigen sich hohe kumulierte Verluste durch vermindertes Lebenseinkommen und den daraus abgeleiteten Rentenansprüchen.
Verdienstausfall von bis zu 2000 Euro und mehr
Ergänzend gilt es auch, die zusätzlich durch die Pflegeübernahme entstehenden Kosten zu berücksichtigen. Laut DIW-Wochenbericht geben Pflegehaushalte bezogen auf den Median des verfügbaren Pro-Kopf-Einkommens sieben Prozent ihres Einkommens zusätzlich für die Pflege aus (DIW-Wochenbericht 37/2025, S. 595).
In der VdK-Pflegestudie 2023 gaben knapp 42 % der Befragten hinsichtlich des monatlichen Verdienstausfalls an, dass dieser bis zu 500 Euro beträgt. Weiter führt die Studie aus: „Bei 29,5% lag der Verdienstausfall bei bis zu 1.000 Euro und bei 15,5% bei bis zu 1.500 Euro. Bei mehr als 10% lag der Verdienstausfall bei bis zu 2.000 Euro oder sogar darüber“ (Büscher 2023, S. 60).
Elling et. al. (2024) ermitteln in der Sekundärdatenanalyse der Erwerbstätigenbefragung von 2018 beim Einkommensvergleich der Erwerbstätigen mit Pflegeverantwortung (3036 EUR) und der Erwerbstätigen ohne Pflegeverantwortung (3574 EUR) eine Differenz von monatlich 538 EUR.
Betrachtet man diese Einkommenseinbußen, so drängt sich die Feststellung auf, dass man sich die Übernahme von Pflegeverantwortung auch leisten können muss. So übernehmen Personen aus Haushalten mit mittleren Einkommen Unterstützungs- und Pflegeaufgaben signifikant häufiger (26,9 %) als Personen aus Haushalten, die armutsgefährdet sind (15,0 %) bzw. Personen aus Haushalten mit höheren Einkommen (16,9 %) (vgl. Ehrlich 2024, S. 11).
Strukturell verursachte Armutsrisiken bei Pflegevereinbarkeit
Die Armutsrisiken bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege sind stark strukturell bedingt. Die Einkommenseinbußen können nicht von allen Einkommensgruppen kompensiert werden. Zwar ermöglichen das Pflegezeitgesetz und das Familienpflegezeitgesetz Freistellungen, jedoch sind kaum existenzsichernde Lohnersatzleistungen vorgesehen. Zusätzlich erschweren unzureichende Betreuungs- und Versorgungsangebote, wie beispielsweise die Tagespflege oder ambulante Pflege, es, den Arbeitsumfang langfristig zu halten und damit auch die eigene Altersvorsorge zu sichern.
Fazit:
Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege wird durch die unzureichende finanzielle Absicherung zu einem Armutsrisiko. Dies zeigt sich zunächst in Form von Einkommensverlusten und langfristig in geringeren Rentenansprüchen. Das vorliegende Problem betrifft Frauen in besonderem Maße, da sie sowohl häufiger als auch über einen längeren Zeitraum pflegen. Es mangelt an politischen Maßnahmen, die dieses Risiko effektiv abfedern. Eine unzureichende Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat negative Auswirkungen auf die Erreichung der Unternehmensziele und das betriebliche Personalmanagement. Dies kann den ohnehin schon bestehenden Fachkräftemangel weiter verschärfen. Daher ist auch für Arbeitgeber das Armutsrisiko im Zusammenhang mit der Pflegevereinbarkeit nicht nur ein soziales, sondern auch ein wirtschaftliches Thema.
Das KDA setzt sich mit seinen Strukturentwicklungs-Projekten dafür ein, einen Beitrag zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu schaffen und vernetzt Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen vor Ort, damit gemeinsam an regionalen Lösungen gearbeitet werden kann.
Landesprogramm zur Vereinbarkeit von Beruf & Pflege NRW
Regionalbüros Alter, Pflege und Demenz
Forum Seniorenarbeit NRW
Integrierte Alten und Pflegeplanung für NRW
Literatur:
Brandt, Martina; Ehrlich, Ulrike; Geyer, Johannes; Hann Peter; Kelle, Nadiya (2025: Größter Pflegedienst in Deutschland: Millionen Menschen pflegen Angehörige inner- und außerhalb ihres Haushaltes. DIW Berlin- Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. DIW Wochenbericht Nr. 37/2025, S. 592-598. https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.973323.de/25-37-1.pdf
Büscher, A.; Stelzig, St.; Peters, L.; Lübben, A.; Yalymova, I. (2023). Zu Hause pflegen – zwischen Wunsch und Wirklichkeit Die VdK-Pflegestudie Abschlussbericht. https://opus.hs-osnabrueck.de/frontdoor/deliver/index/docId/5236/file/VdK-Pflegestudie_Abschlussbericht_Februar_2023.pdf
Ehrlich, Ulrike, Bünning, Mareike, & Kelle, Nadiya (2024). Doppelbelastung ohne Entlastung? Herausforderungen und gesetzliche Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf in einer alternden Gesellschaft [DZA Aktuell 03/2024]. Berlin: Deutsches Zentrum für Altersfragen. https://www.dza.de/fileadmin/dza/Dokumente/DZA_Aktuell/DZA-Aktuell_03_2024_Vereinbarkeit_fin.pdf
Elling, Mathis; Hetzel, Christian (2024). Auswertung der BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2018 zum Themenfeld ‘Vereinbarkeit von Beruf und Pflege’: eine Propensity-Score-Analyse; Landesprogramm Vereinbarkeit Beruf und Pflege NRW. https://berufundpflege-nrw.de/uploads/2024/07/Bericht_BIBBBAuA_20180701_ES_i-1.pdf
Kontakt: Adelheid von Spee und Dr. Sarah Hampel, Landesprogramm zur Vereinbarkeit von Beruf & Pflege NRW im KDA: berufundpflege@kda.de
Pressekontakt: Solveig Giesecke, Tel.: +49 30 / 2218298 – 58, Mail: solveig.giesecke@kda.de