Zur Prognos-Studie: Das Übernehmen von Sorge-Verantwortung nicht bestrafen, sondern belohnen

Der Vorsitzende des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, Helmut Kneppe, sieht in den Ergebnissen der Prognos-Studie zu Diskriminierungserfahrungen von Berufstätigen, die privat Kinder oder hilfebedürftige Menschen betreuen, ein Alarmsignal.

„Das Prognos-Gutachten zu Diskriminierungserfahrungen von Arbeitnehmenden, die Sorgeverantwortung tragen, ist alarmierend. Die Aussagen der befragten Berufstätigen mit Sorgeverantwortung für Kinder oder pflegebedürftige Menschen, die von Herabwürdigungen und/oder materiellen Nachteilen berichten, sind nicht wirklich überraschend. Die Alarmglocken sollten dennoch schrillen, denn die Studie beschreibt eine Gesellschaft, die sich in eine bedenklich individualisierende, unsolidarische Richtung ‚optimieren‘ lässt. Wobei die ‚Werte‘, auf die hin ‚optimiert‘ wird, durchaus der Hinterfragung wert sind. Wer solidarisches, sorgendes und zudem ehrenamtliches Kümmern für die Gesellschaft angesichts der demografischen Entwicklung bestraft, optimiert nicht, sondern versagt.

Eine Gesellschaft, deren tragende Säule Familien sind, die aber nicht genügend Möglichkeiten für Familien anbietet, ein ‚Sozial‘-System schafft, das teilzeitarbeitende Menschen bestraft, wenn sie Kinder großziehen oder Ältere betreuen, statt Rentenpunkte zu sammeln, eine Gesellschaft, die bei der Pflege nicht angemessen umsteuert, wird es zerreißen. Eine solche Gesellschaft wird von der Realität überrollt werden. Sie ist schlicht nicht zukunftsfähig.

So, wie wir inzwischen beginnen, den Sinn und die Ziele von Wachstum neu zu denken, so müssen wir sehr rasch auch uns als Gesellschaft, unsere Haltung überdenken: Wie wollen wir in Zukunft bei allen Herausforderungen gut miteinander leben, wie unser Altern würdevoll gestalten?

Die Prognos-Studie, die im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erstellt wurde, zeigt: Wir befinden uns auf Kollisionskurs zur demografischen Realität, auf Kollisionskurs zu einer sozial-gerechten Zukunft. Schaut man sich allein diejenigen Befragten an, die sich zusätzlich zum Beruf auch um einen pflegebedürftigen Angehörigen kümmern, so berichten

  • 48 % der befragten Pflegepersonen von mindestens einer diskriminierenden Erfahrung am Arbeitsplatz
  • 18% Frauen und 20 % Männer fühlen sich von wichtigen Informationen und Entscheidungen ausgegrenzt
  • 16% Frauen und 16% Männer sehen fehlende Rücksichtnahme bei der Sitzungsterminierung
  • 12 % Frauen und 16% Männer schildern schlechtere Leistungsbewertung und Ausbleiben von Lohnerhöhungen
  • 20% durch unflexible Arbeitszeiten eine Erschwernis der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu erleben.

Diese Umfrageergebnisse zeigen einmal mehr, dass es notwendig ist, deutlich zu machen, dass sowohl das Zusammenleben der Generationen als auch die Langlebigkeit der Gesellschaft eine gesamtgesellschaftliche Entwicklungsaufgabe sind. Hier reicht es nicht aus, einzelne Rädchen in Teilbereichen zu drehen. Die Fragen, die mit dem demografischen Wandel verbunden sind, betreffen alle Strukturen und müssen system-übergreifend angegangen und mit den Mitteln – ideellen wie materiellen – der Gesamtgesellschaft gelöst werden.

Auf der anderen Seite betreffen diese Fragen auch jeden einzelnen von uns. Jeder sollte sich fragen, wie er sich ein gelingendes Miteinander und ein würdevolles Altern vorstellt, und was er zur Umsetzung beitragen kann.“

Aus der Studie:

Konkret wurden folgende Diskriminierungserfahrungen von pflegenden Berufstätigen genannt:

  • Vorenthalten wichtiger, betriebsinterner Informationen,
  • Terminierung von Sitzungen ohne Rücksicht auf diejenigen, die Angehörige pflegen
  • Zweifel an Fähigkeiten
  • Gefühl, gemobbt zu werden
  • abfällige Kommentare

Auch materielle Benachteiligungen wurden genannt:

  • Gehaltserhöhung oder Bonus gestrichen
  • schlechtere Leistungsbewertung
  • gegen den Willen unzumutbares Arbeitspensum aufgetragen
  • Beförderung, Karriereschritt verweigert
  • Fort-/Weiterbildung abgelehnt

Weitere Informationen:

Laut Pflegestatistik (Destatis, 2017) werden 76 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt (2007: 68 Prozent) und in einem Großteil dieser Situationen erhielten sie ausschließlich Pflegegeld, das heißt, sie wurden allein durch Angehörige gepflegt.

2019 hat der Rat der Europäischen Union die Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige („Work-Life-Balance-Richtlinie“) verabschiedet. Das Bundeskabinett hat am 8. Juni 2022 einen Gesetzesentwurf beschlossen, um die europäische Richtlinie in deutsches Recht umzusetzen. Frist für die Umsetzung ist August 2022.

 

Prognos-Studie Diskriminierung Erwerbstätiger mit Fürsorgeverantwortung

Gesetzentwurf zur Umsetzung der „Work-Life-Balance-Richtlinie“

Landesprogramm Vereinbarkeit von Beruf und Pflege NRW

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