Buchbesprechung: Andrea Würtz & Bastian Klamke (2024), „Altenpflege – Kämpfen statt Kündigen. Wie Pflegekräfte ihren Berufsalltag nachhaltig verbessern können.“ Schlütersche
Im Hinblick auf die (stationäre) Langzeitpflege ist die Klage bekannt, strukturelle Reformen sind bislang nicht in Sicht. Das Buch weist noch einmal eindrücklich auf die Problemlage insgesamt hin und verdeutlicht sie am Beispiel des Pflegeskandals im bayrischen Schliersee. Es bleibt aber nicht beim Protest, die kritische Analyse und das politische Engagement der Autor/innen werden sehr deutlich. Vor allem bieten sie Ideen und konkrete Ansätze, wie sowohl die Praxis vor Ort in den Heimen wie auch die gesundheitspolitische Ausrichtung neu akzentuiert werden können. Und zwar in Richtung einer guten Pflege, einer menschenwürdigen Betreuung sowie einer gesellschaftlichen Anerkennung des Pflegeberufes.
Das Buch greift eine Vielzahl von Themen auf, für die sich das KDA seit seinem Bestehen einsetzt, allen voran, eine gute Pflege für ein selbstbestimmtes Leben im Alter und bei Pflegebedarf zu ermöglichen. Ein Kernthema der KDA-Reformvorschläge „Pflege radikal neu denken“ steht dabei im Mittelpunkt: die Gestaltung guter Arbeitsbedingungen und das Empowerment von Pflegekräften.
Dass es dafür eine grundständige Reform der Pflegepolitik als Gesellschaftspolitik braucht, ist aus KDA-Sicht unbestritten. Dabei geht es auch um die Frage, wie Pflege in Zukunft im Rahmen eines gesellschaftlichen Konsenses aussehen kann und soll. Und wie wir uns von Konventionen und Defiziten im gegenwärtigen Zustand der Langzeitpflege lösen können. Die KDA-Impulse zu Arbeitsbedingungen und Integration von Pflegefachpersonen in Pflege- und Gesundheitsunternehmen, die Vorschlägen zur Neuordnung pflegerischer Versorgung in der Vielfalt des Wohnens und die Förderung sorgender Gemeinschaften bieten hierauf Antworten.
Das Buch greift aber insbesondere ein zentrales Anliegen des KDA auf: Mit dem Konzept „Wohnen 6.0- mehr Demokratie in der (institutionellen) Langzeitpflege“ wird die Mitbestimmung, Mitgestaltung und Mitverantwortung aller Parteien ins Zentrum gerückt. Dabei geht es trotz bzw. gerade aufgrund der Umstände vor allem auch um die Stärkung von Pflegefachpersonen, ihr professionelles Selbstverständnis und die Verantwortung jeder einzelnen Person.
Und auch wenn in dem Buch persönliche Erfahrungen der Autorin thematisiert und Defizite angesprochen werden, geht es im Kern nicht um diffuse Vorschläge an Unbekannte, sondern – wie der Titel schon sagt – um einen gezielten und mit praktischen Vorschlägen hinterlegten Aufruf an die Selbstbestimmung und Mitverantwortung von Pflegepersonen selbst.
Deutlich wird, dass nur das (berufs)-politische Engagement der Berufsgruppe selbst einen Unterschied machen wird. Denn sie muss selbst Verantwortung übernehmen, die Politik wird am Ende nur auf den Druck reagieren, mit dem Innovationen nachhaltig eingefordert werden. Für diese Erkenntnis sprechen auf die Erfahrungen, welche die Erstautorin bei Debatten über Heimskandale im bayrischen Landtag gemacht hat. Denn trotz der offiziell dokumentierten Mängel in einer Vielzahl von Pflegeheimen in Oberbayern änderte sich letztlich nur wenig. Am Ende scheitert eine substanzielle Reform der Pflegelandschaften an der Gleichgültigkeit der Verantwortlichen, am Schönreden der Ist-Situation und an der Urkenntnis und Ignoranz gegenüber den eigentlichen Ursachen. Prof. Thomas Klie hat dies einmal in einem Buch auf den Punkt gebracht. Es heißt: „Wen kümmern schon die Alten?“
Was ist also notwendig? Erstens der Blick auf „Neue Wege, Impulse und Strukturen für eine realitätsnahe gute Pflege“ (Kapitel 2). Dazu gehören nicht nur die Verbesserung der Kommunikation im Team, sondern auch die Arbeit mit der SIS und einem fachlich adäquaten Skill- und Grademix in der praktischen Pflege. Zweitens ist es wichtig, „dass Gesundheitswesen neu zu denken“ (Kapitel 5). Nicht nur die Verbindung von Pflegepraxis und Pflegewissenschaft ist hier zu betonen, auch die Trennung zwischen GKV und PKV muss aufgelöst werden. Bei beiden Perspektiven – sowohl den Innovationen in der Praxis wie auch den gesundheitspolitischen Veränderungen – helfen die Erfahrungen aus dem Ausland weiter. Denn in vielen Ländern ist die Pflege nicht nur akademisiert, sie ist auf einem ganz anderen Level professionalisiert und gesellschaftlich etabliert. Von den Beispielen – vor allem in den skandinavischen Ländern – muss gelernt werden. Eine positive Vision einer guten Altenpflege ist unabdingbar.
Am Ende – und dies wird an vielen Stellen des Buchs immer wieder (auch vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen) betont – kommt es nicht nur auf die große Politik an. Auch die mediale Skandalisierung allein wird nicht helfen. Denn der oder die Einzelne muss Verantwortung übernehmen. Und diesbezüglich ist die Pflege selbst gefragt. Denn wer ehrlich ist, der weiß: Hier ist noch viel Luft nach oben!
Buchbesprechung von Prof. Dr. Hermann Brandenburg, Kurator des KDA, und Christian Heerdt, Leiter Pflege, Wohnen und Quartier im KDA