Pflegebedürftige rutschen in die Sozialhilfe: „Wir können die Menschen nicht im Armutsrisiko lassen.“

Interview des Bayerischen Rundfunks mit Helmut Kneppe, Vorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe

Die finanziellen Folgen der Pflegebedürftigkeit überfordern immer mehr Bürgerinnen und Bürger. „Menschen, die pflegebedürftig werden, rutschen immer öfter in ein Armutsrisiko“, antwortete Helmut Kneppe, Vorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA) auf die Frage von Moderator Till Nassif, was bei der Finanzierung der Pflege schieflaufe.

Nach einem Beitrag, in dem gezeigt wurde, dass die Kosten für einen Platz in einem Senioren- oder Pflegeheim deutlich angestiegen sind und immer mehr Bewohner Sozialhilfe beantragen müssen, wurde Helmut Kneppe um eine Einordnung der Situation und um Lösungsvorschläge gebeten. „Wir müssen das Pflegesystem grundlegend neu finanzieren“, erklärte Kneppe. Das Finanzierungsmodell, das 1996 mit der Pflegeversicherung geschaffen worden sei, trage mit Blick auf den demografischen Wandel nicht mehr. Schon jeder dritte Bewohner ist laut Verband der Ersatzkassen auf „Hilfe zur Pflege“ angewiesen.

Mehr Steuermittel und eine gemeinsame Pflegeversicherung

Grundsätzlich, so betonte der KDA-Vorsitzende, sei es erforderlich, „die Pflege neu zu denken“: Pflege sei kein Einzelschicksal, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die von allen getragen werden müsse. Das bedeute einerseits, dass der Staat mehr Pflege- und Begleitkosten wie etwa Rentenansprüche pflegender Angehöriger übernimmt, zum anderen, dass alle in die „gleiche Kasse“ einzahlen. Nur so könne gewährleistet werden, dass die tatsächlichen Bedarfe im Pflegefall finanziert werden. „Denn bei der heutigen Pflegeversicherung handelt es sich um eine Teilkaskoversicherung, die nur einen geringen Teil der Kosten abdeckt.“ Anders als etwa bei der Krankenversicherung, die im Fall eines Klinikaufenthaltes zum Beispiel auch die „Hotelkosten“, also die Kosten für Übernachtung und Verpflegung, übernehme.

Pflegeplatz kostet im Schnitt 2548 Euro – Rente liegt im Schnitt bei 1152 Euro

Infolge der Inflation – die Preise für Lebensmittel etwa sind im Juni um 13,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen – sind gerade die „Hotelkosten“ neben den erwünscht steigenden Personalkosten die Preistreiber. So liegt der Betrag, den eine Bewohnerin oder ein Bewohner heute im Bundesdurchschnitt aus der eigenen Tasche jeden Monat zuzahlen muss im ersten Jahr bereits bei 2548 Euro. Und das bei einer durchschnittlichen Rente von 1152 Euro. Die Lücke muss zunächst aus dem Vermögen des pflegebedürftigen Menschen und seines Ehepartners gedeckt werden, bis es auf 5000 Euro/10.000 bei Ehepaaren abgeschmolzen ist. Dann muss „Hilfe zur Pflege“, also Sozialhilfe, beantragt werden. Hier werden Kinder mit herangezogen, wenn sie 100.000 Euro im Jahr oder mehr verdienen.

Der Screenshot zeigt Helmut Kneppe, Vorsitzender des KDA, im Gespräch mit Moderator Till Nassif vom BR
Der Screenshot zeigt Helmut Kneppe, Vorsitzender des KDA, im Gespräch mit Moderator Till Nassif vom Bayerischen Rundfunk

Gesellschaftspolitische Haltungsfrage

Es brauche eine Pflegeversicherung, die die Grundbedarfe abdecke. Zusatzwünsche könnten dann über eine private Pflegeversicherung abgesichert werden, die „zusätzliche Module“ anbieten könne, ergänzte Helmut Kneppe. Zudem forderte er, über die Umlage hinaus weiterhin den Pflegefonds aufzubauen, um jetzt, wo es wieder Zinsen gibt, einen weiteren Pfeiler zur Finanzierung der Pflegekosten zu haben.

 

Mehr noch, betonte Kneppe, „aus Sicht des KDA ist die auskömmliche Finanzierung der Pflege eine gesellschaftspolitische Haltungsfrage. Wir als Gesellschaft müssen uns ernsthaft fragen, wie wir sicherstellen, dass Menschen, die pflegebedürftig werden, versorgt werden, ohne dass sie in ein Armutsrisiko rutschen.“ Das KDA lege Wert darauf, dass es nicht nur um eine finanzielle Versorgung im Pflegefall gehe: „Es geht um einen wertschätzenden Umgang.“ Die Würde des Menschen ist ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft, sie ist der Grundgedanke der Verfassung. „Man kann die Menschen nicht im Armutsrisiko lassen. Wir müssen die Pflegefinanzierung neu aufstellen.“ Und das sei mit einer entsprechenden Reform möglich.

Foto oben: Der Screenshot zeigt Helmut Kneppe, Vorsitzender des KDA, im Interview mit den BR-Nachrichten.

Interview mit dem Bayerischen Rundfunk

Verband der Ersatzkassen zum Anstieg der Pflegekosten

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